Kapitel 1: Marija

Eine der Waffen, die Marijas Freund im Suff benutzte, um sie zu verletzen, war ein Glätteisen. Marija hat es bis heute:

Und die Polizei? „Die Polizei kommt doch nur, wenn es eine Leiche gibt“, sagt Marija. „Aber ich wollte auch nicht, dass er ins Gefängnis kommt.“ Sie hasste ihren Freund. Und er tat ihr leid. Selbst, als er mit einem Messer auf sie losging:

Marija ist eine von Hunderttausenden Frauen in Russland, die von ihren Männern geschlagen, verletzt und misshandelt wurden. 38.000 Fälle häuslicher Gewalt zählte das russische Innenministerium allein im Jahr 2013. Offiziell.

Und die Täter? Im Februar verabschiedete das russische Parlament ein Gesetz, das häusliche Gewalt zur Ordnungswidrigkeit herunterstuft. Bußgeld: 85 Euro.

Die Narben aber bleiben ein Leben lang. Die weißen Striche an Marijas Armen erinnerten sie an die Attacken ihres Ex. Beim Duschen. Beim Umziehen. Jedes Mal. Bis sie Schenja kennenlernte:

Kapitel 2: Die Tätowiererin

„Ich will den Menschen helfen, ihr Trauma zu überwinden“, sagt Schenja. Die 33-jährige Tattoo-Künstlerin lebt in Ufa, 1300 Kilometer von Moskau entfernt. Marija kam vor etwa einem Jahr zu ihr und zeigte ihre Narben vom Glätteisen.

Schenja tätowierte ein schwarzes Motiv mit Sanduhr und Raben auf Marijas Oberarm. Die Narben am Unterarm verdecken heute bunte Blumen:

Die brasilianische Tattoo-Künstlerin Flavia Carvalho inspirierte Schenja zu ihrem Projekt. Auch sie macht aus den Spuren häuslicher Gewalt bunte Kunstwerke aus Tinte. Schenja wird von vielen angefeindet, auf Facebook, per Mail. Aber:

„Viele Leute sagen mir: Ich mag Tattoos nicht. Aber ich mag, was Du tust!"Schenja, Tattoo-Künstlerin

Mehr als tausend Frauen hat Schenja bisher tätowiert, unentgeltlich. Marija war eine von Schenjas ersten Fällen. Die 29-jährige Wiktorija kam erst später zu ihr. Und was sie erzählte, klang zu brutal, um wahr zu sein:

Kapitel 3: Wiktorija

Warum, weiß Wiktorija nicht. Aber ihr Freund wollte nicht glauben, dass er wirklich der Vater des Kindes war, das gerade in ihrem Bauch heranwuchs. Damals, vor sieben Jahren.

Also schleppte er Wiktorija zusammen mit einem seiner Kumpel in den Wald:

Wiktorija erzählt ihre Geschichte, um anderen Frauen Mut zu machen. Auch sie hat sich das Leben mit ihrem Freund lange schöngeredet:

„Ich wollte, dass er gut ist. Ich wollte eine glückliche Familie.“Wiktorija

Doch heute rät sie Frauen in ihrer Situation: „Glaube keinen Tränen, Worten oder Geschenken. Verlass ihn.“ In den sechs Jahren, in denen Wiktorija misshandelt wurde, hat sie immer wieder die Polizei gerufen:

„Sie haben nur gesagt: Warum sollten wir kommen?“Wiktorija

Die 34-Jährige Nastja rief die Polizisten erst gar nicht an. Sie schämte sich. Für ihren Freund, für sich, vor den Nachbarn. Schließlich heißt es in Russland: „Schlägt er Dich, liebt er Dich.“

Kapitel 4: Nastja

„Die Gewalt ist einfach normal hier“, sagt Nastja, ihr kleiner Hund schmiegt sich an ihre Brust. Ihr Freund hat sie mit dem Messer verletzt, immer wieder. Bis sie es schließlich schaffte, ihn zu verlassen.

Noch immer leidet Nastja. Muss an die Schmerzen denken, die Erniedrigung. Es hat sie deshalb viel Mut gekostet, zu Schenja zu gehen. Aber sie sagt: „Es hat mich stärker gemacht.“

Die Fotografin Claudia Janke

„Ich wollte mir in Russland drei Sterne tätowieren lassen, um meine drei Sternenkinder zu würdigen. Ich hatte in den letzten vier Jahren drei Fehlgeburten. In Deutschland nennt man Babys, die nicht auf die Welt gekommen sind, „Sternenkinder“. Ich konnte mir dafür niemand Besseres vorstellen als Schenja.“

Das Team

Fotos, Videos und Schnitt Claudia Janke

Zusätzliche Bilder Vadim Braydov

Motion Design Lorenz Kiefer

Programmierung Tobias Hellwig

Redaktion Jens Radü

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