El Salvador. Ein kleines Land an der zentral­ameri­kani­schen Pazifik­küste. 6,4 Mil­lionen Menschen leben hier. Die meisten in Angst. Denn 70000 Gang­mit­glieder gibt es schätzungs­weise, organisiert in drei großen Gangs, den soge­nannten Maras: MS 13, Barrio 18 Sureños, und Barrio 18 Revolucionarios. Sie leben haupt­sächlich von Schutz­geld­erpressung und vom Drogen­verkauf auf den Straßen.

Es sind 70000 Mörder, die auf den Straßen ihr Unwesen treiben. Denn wer einer Gang bei­treten will, muss töten. El Salvador hat seit Jahren eine der höchsten Mord­raten weltweit.

Die Killer passen ihre Tötungs­methode daran an, wer getötet wird und wes­wegen. El Sparky zer­stückelte, zer­hackte seine Opfer, während sie noch am Leben waren. Er häutete sie, entnahm ihnen ihre Organe. Zwischen den Gangs ist ein Wett­streit der Grau­sam­keiten entstanden.

Johnny Flores ist einer, der gegen die Gangs kämpft, seit es sie gibt. Der Sergeant führt die Anti-Erpres­sungs-Einheit in Apopa, nörd­lich der Haupt­stadt San Salvador. Seit 1986 ist er Poli­zist. Immer wieder leitet er Spezial­ein­heiten. Seit Jahren ris­kiert er sein Leben. Hinter jedem Haus, wenn er auf Patrouille geht, Johnny Flores weiß das besser als die meisten anderen in El Salvador, könnten sie warten. Die Männer, die das Viertel kontrol­lieren. Und mit ihnen der Tod.

Wenn die Gangs die Leichen ihrer Opfer ver­stecken, ist es Israel Ticas, der sie sucht. Er ist der einzige Krimi­nal­foren­siker des Landes. Ein Mann, dem man nicht ansieht, was er jeden Tag durch­machen muss, den das Grauen erstaun­licher­weise jünger aussehen lässt als die mehr als 50 Jahre, die er alt ist. Ein Mann, der sich selbst als eine Art Künstler des Todes betrachtet.

Wenn ein Gang­mitglied einen Mörder verrät, weil es sich Straf­freiheit erhofft, dann fährt Ticas los. Sucht in Gewässern, in Brunnen, gräbt bis zu 40 Meter tiefe Schächte. Er findet Kinder, Frauen, Männer. Zer­stückelt, gehäutet, geschändet. Ticas hat den Tod als seinen Kompagnon akzeptiert.

Denn das ist hier passiert in El Salvador: Der gewalt­same Tod ist aus einer Sphäre des Grauens, des Gefürch­teten herüber­ge­treten in das All­tägliche. Es gibt Tage, da kann man mehr Leichen auf den Straßen liegen sehen, als Grad Celsius auf dem Ther­mo­meter stehen.

Das Erstaunlichste ist, dass es bei all der Gewalt nicht vor­rangig um Geld geht. Die meisten Gang­mit­glieder sind bitter­arm. El Salvador ist nur über den Seeweg Transit­land der Kartelle, es geht hier nicht um Drogen­millionen. Eine Gang ist eine Art Ersatz­familie. Es geht um Aner­ken­nung. Und so füllen sich die ver­steck­ten Gräber in El Salvador nicht aus strate­gischen Gründen, hinter den meisten Morden steht noch nicht einmal eine krimi­nelle Logik. Hinter den meisten Morden stehen allein anima­lische Brutalität, ein per­verser jugend­licher Profi­lierungs­wahn und eine traurige Perspek­tiv­losigkeit.

Aber was ist passiert in einem Land, in dem man erzählt bekommt, dass ein acht­jähriges Mädchen fünf­zehn Männern anbietet, sie ver­gewaltigen zu können, wenn sie dafür ihren fünf­jährigen Bruder nicht ermor­den? Was ist passiert in einem Land, in dem fünf­zehn Männer dann eine Acht­jährige ver­gewaltigen, dann vor ihren Augen ihren Bruder erschießen, und dann beide zusam­men begraben? Diese Frage kann auch Johnny Flores nicht beant­worten, der nach Dienst­schluss und nach Feier­abend als Pastor arbei­tet, da ihm ohne einen Gott die Sinn­losig­keit dieses Mordens zu nieder­schmetternd ist.

Viele Polizisten fliehen aus El Salvador, fliehen vor den Dro­hungen, fliehen vor ihrem mög­lichen Tod und dem ihrer Familien. Oder sie formen Todes­schwa­dronen, nehmen das Gesetz in die eigene Hand, jagen und töten die Gang­mit­glieder nach Dienst­schluss. Johnny Flores macht nichts davon. Er bleibt. Und leitet jeden Sonn­tag das Gebet. Auch dafür verlässt er das Haus nicht ohne seine Beretta.

Auch in den Gefängnissen des Landes riskiert man sein Leben. Denn die meisten werden von den Gangs kon­trol­liert. In den Gefäng­nissen sitzen die Bosse. Sie sind so notorisch über­lastet, dass die Häft­linge in Zellen im Stehen schlafen müssen, aus denen ein so beißen­der Geruch strömt, dass das Atmen schwer­fällt. In denen sie Katzen jagen, um Suppe zu machen, in denen erpresst, gemordet und ver­gewaltigt wird, mit Stöcken, Körper­teilen, Flaschen und Messern.

Es sind Gefäng­nisse, von denen ein Jour­nalist ein­mal sagte: »Dort werden Men­schen­rechte ver­letzt, die noch gar nicht er­funden wurden.« Auch im Izalco-Gefäng­nis, 70 Kilo­meter westlich von San Salvador. Hier konnten sich ein paar Hundert Gangmitglieder in einen Flügel für gläubige Christen retten. Denn nur wer gläubig wird, hat eine Chance, die Gang ver­lassen zu können. Ob es funk­tioniert, entschei­den die Bosse. Ansonsten heißt es: Bis dass der Tod uns scheidet.

Juan Carlos Cruz

25, MS13

Wilfredo Lara Rivera

42, MS13

Nelson Maximiliano Argueta Díaz

40, MS13

Roberto Carlos Rivera Ramírez

36, MS13

Danilo Ernesto Mancía González

33, MS13

José Marco Menjívar Cortéz

27, MS13

Es ist selten geworden, dass Gang­bosse mit Journa­listen reden. In San Bartolo wartet in einem Haus, das die Gang sonst als Hangout benutzt, der Anführer des Viertels. Pfeifen liegen herum, Crystal Meth in kleinen Glas­behältern, ein Schleier weißen Pulvers liegt auf dem Tisch. Der Mann, der sich »Die Legion« nennt, schickt ein paar kleine Jungs los, damit sie an den nächsten Straßen­ecken Wache halten. Dann hält er eine Art Presse­konferenz.

Die Gangs Barrio 18 und MS-13 werden in El Salvador als Terrororganisationen eingestuft.

Die exakte Zahl ihrer Opfer wird sich wohl nie genau bestimmen lassen – Schätzungen gehen in die Zehntausende.

Team

Autoren Fritz Schaap, Christian Werner

Programmierung Lorenz Kiefer

Dokumentation Nina Ulrich

Schlussredaktion
Lutz Diedrichs, Katrin Zabel

Mitarbeit El Salvador Juan Carlos

Redaktion Nora Belghaus, Alexandra Frank, Jens Radü, Bernhard Riedmann, Katharina Zingerle

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