Nicht der Fisch interessiert die Fischer, nur seine Schwimmblase. Die Mexikaner nennen sie »Buche«. Nicht einmal Gold kann ihren Wert aufwiegen. Das Organ eines ausgewachsenen Tieres bedeutet mehrere Tausend US-Dollar für die »Bucheros«. Sie wird nach China verkauft, wo sie als Heilmittel gilt.
Seit 1975 ist die Jagd auf Totoaba verboten. Sie hat nicht nur die Fische fast ausgerottet, sondern auch die Vaquita, einen der kleinsten Wale der Welt, der ebenfalls nur hier vorkommt, fast zum Aussterben gebracht. Vaquitas enden häufig als wertloser Beifang in den Totoaba-Stellnetzen.
Früher nutzten die Fischfang-Gemeinden am oberen Golf von Kalifornien den Totoaba als Speisefisch und exportierten ihn in die USA und nach China. Überfischung und zu viele Schadstoffe im Wasser verursachten Mitte der 1970er Jahre einen Kollaps der Population. Fangverbote folgten, wurden aber nicht entscheidend durchgesetzt. Niemand weiß, wie stark gefährdet der Fisch tatsächlich ist; Studien geben keinen Aufschluss, von Zählungen ganz zu schweigen.
Seit ein paar Jahren haben die Behörden ihre Kontrollen verstärkt. Aber gegen die vielen Dutzend kleiner Boote sind die wenigen Patrouillen von Armee und Umweltschützern machtlos. Und Helfer hilflos: Aktivisten wie Sea Shepherd, ein mexikanisches Meeresmuseum und einige einsichtige Fischer versuchen die illegalen Netze zu entfernen – in einem Gebiet lediglich so groß wie Dänemark fischten sie in der vergangenen Saison 42 Tonnen illegale Netze aus dem Wasser.
Schwimmblasen werden nur in der südchinesischen Provinz Guangdong konsumiert, im angrenzenden Hongkong und in Macau. Dort finden sich hunderte Läden, die getrocknete Meeresprodukte verkaufen, jeder davon hat säckeweise Schwimmblasen der verschiedensten Fische in der Auslage.
Wissenschaftliche Studien über den medizinischen Nutzen von Schwimmblasen existieren nicht. Aus den getrockneten Schwimmblasen wird Suppe gekocht; ein paar Stunden muss sie köcheln, bis die Schwimmblasen eine gallertartige Konsistenz haben. Die Schwimmblasen von Den Suiwei stammen von den unterschiedlichsten Fischen aus aller Welt, auch aus Mexiko; keine von Totoaba, weil der Handel damit in China verboten sei. Ein einheimischer Fisch ähnele dem Totoaba jedoch sehr: die Bahaba. Deren Schwimmblase gelte als die Beste überhaupt, doch sie sei in den Läden kaum noch zu finden, sagt Den.
Weil ihre Schwimmblase als besonders wirkungsvoll gilt, wurde auch die Bahaba stark überfischt. Sie gilt heute als fast ausgestorben und darf in China nicht mehr gefangen werden. Bahaba-Schwimmblasen sind extrem wertvoll. Die Leute hier nennen die Bahaba auch »Geldfisch«. Dem Fischer Cheng Dong Ming ist kürzlich noch einmal einer ins Netz gegangen, wenn auch ein sehr kleiner.
Eine Totoaba-Schwimmblase in der Wohnzimmervitrine bedeutet: »Ich bin jemand; ich kann mir so etwas leisten.« Je seltener die Schwimmblase und je schwieriger der Schmuggel, desto größer ihr Wert. Und je größer der Wert, desto interessanter für Händler und attraktiver für Käufer. Und für die Kartelle höhere Gewinne und viel geringere Risiken als beim Drogenhandel. Ein Teufelskreis, kontrolliert von kriminellen Banden.
2017 entsprach der Preis für ein Kilogramm Totoaba-Schwimmblasen dem Preis für 1.76 Kilogramm Kokain oder 273.87 Kilogramm Marihuana.
Verurteilte Drogenschmuggler müssen in Mexiko mit Gefängnisstrafen von 10 bis 25 Jahren rechnen. Totoaba-Schmuggler riskieren maximal 2 Jahre Gefängnis; oft kommen sie mit deutlich geringeren Strafen davon.
Fünf Minuten später schickt der Chef ein Foto: an der Form und den langen Fortsätzen lässt sich eindeutig erkennen: das ist eine Totoaba-Schwimmblase. Sie soll 350 Gramm schwer sein, das heißt etwa mittelgroß, und 160000 Hongkong-Dollar kosten, circa 18000 Euro.
Was ist mit den Gesetzen? Warum greifen die Kontrollen nicht?
Macau und Hongkong haben eigene Verwaltungen und eigene Gesetze. Obwohl Totoabas weltweit geschützt sind, scheinen die Behörden in Macau das Verbot nicht durchzusetzen. Auf Nachfrage bei den zuständigen Behörden in Macau erhalten wir keine Antwort. Und die Behörden aus Hongkong oder Festlandchina können nicht gegen einen Händler in Macau vorgehen. In Hongkong führt die Behörde für Fischerei und Artenschutz (AFCD) regelmäßig Stichprobenkontrollen bei den Händlern durch. Die Mitarbeiter der Behörde geben keine Interviews, aber das sagen sie uns in einem informellen Gespräch:
In Hongkong ist zwar der Verkauf von Totoaba-Schwimmblasen verboten, nicht aber der Besitz. Ein Händler kann sich zum Beispiel damit herausreden, eine Totoaba-Schwimmblase für sich selbst als Sammlerstück zu besitzen. Die Polizei muss den Verkäufer in flagranti bei der Übergabe erwischen. Solange er nur ein Foto der Ware zeigt, reicht das nicht aus.
Die Initiative für den Verkauf muss vom Händler ausgehen. Wenn er vor Gericht glaubhaft machen kann, dass er zu dem Verkauf gedrängt oder verleitet wurde, kann er straflos davonkommen. Deshalb können die Beamten ihm nicht einfach eine Falle stellen und sich als Käufer ausgeben. Die Polizei kann bei einer Übergabe in einem Privatgebäude nicht einfach stürmen, sie braucht einen richterlichen Beschluss.
All diese Einschränkungen machen es extrem unwahrscheinlich, je einen illegalen Händler belangen zu können. Und auch Schmuggler müssen den schwachen Arm des Gesetzes nicht fürchten.
Autoren Emre Çaylak und Nicole Graaf
Fotos und Videos Emre Çaylak
Grafik Jennifer Friedrichs
Übersetzung Cristina Baltazar, Carlos Duran, Pan Lee, Cui Zining, Zheng Lu, Chiu-Ying Ho
Mitarbeit Yasin Babuçu
Sprecherin Christina Pohl
Gestaltung, Programmierung Lorenz Kiefer
Dokumentation Michael Jürgens
Schlussredaktion Katrin Zabel
Redaktion, Schnitt Olaf Heuser
Zusätzliches Foto- und Videomaterial: Sea Shepherd, Greenpeace und AFCD Hongkong, R. HERRMANN/PICTURE ALLIANCE/DPA, EIA, GETTY IMAGES/AFP
Mit Unterstützung durch das Olin-Stipendium des Netzwerks Recherche, sowie Yasin Babuşçu Productions/Istanbul